Gesprächseröffnungen sind entscheidend für den Verlauf von Folgegesprächen und die Interaktion mit Sprachmodellen. Offene Eröffnungen, Fortschrittsfragen, thematische Listen und Rückblicke auf Vereinbarungen fördern eine tiefere Verbindung und strukturierte Kommunikation, sowohl zwischen Menschen als auch im Umgang mit KI. Der erste Satz kann den Dialog entscheidend beeinflussen und Raum für neue Gedanken schaffen.

Die Kunst des Anfangs beim Übergang

In der Arbeit mit Menschen begegnen mir immer wieder Situationen, in denen ein Gespräch nicht bei null beginnt. Es handelt sich um Folgegespräche – vertraute Kontexte, in denen bereits ein Bezug besteht, inhaltlich wie zwischenmenschlich. Gerade in diesen Gesprächssituationen entfaltet der erste Satz eine besondere Wirkung: Er richtet aus, setzt Akzente, öffnet oder begrenzt. Die Art, wie ein Gespräch eröffnet wird, beeinflusst nicht nur den Ton, sondern oft auch den Verlauf.

Gleichzeitig arbeite ich intensiv mit Sprachmodellen. Und auch hier beobachte ich: Der Einstieg entscheidet. Wer mit einem LLM arbeitet – sei es GPT, Claude oder Gemini – bemerkt schnell, dass der erste Impuls nicht technischer Natur ist, sondern sprachlich gerahmt. Ein Modell antwortet entlang dessen, was ihm angeboten wird – nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell. Der Charakter der Eröffnung wirkt damit auch im digitalen Dialog. Wer sich intensiver mit den möglichen Ersteingaben beschäftigen möchte, findet in meinem Blogartikel Sieben erste Schritte zur Zusammenarbeit mit einem Sprachmodell weiterführende Impulse: https://blog.dialoglabor.solutions/erste-schritte-zur-zusammenarbeit-mit-einem-sprachmodell.

In den vier Kapiteln dieses Textes habe ich typische Gesprächsmuster zusammengetragen, die ich in Workshops, Trainings und Gesprächen immer wieder beobachte und gemeinsam mit Teilnehmenden erprobe, die sich in meiner Praxis immer wieder zeigen. Sie heißen:

Offene EröffnungenFortschrittsfragenListen und Themen sowie Überprüfung der Vereinbarungen.

Jedes Kapitel beschreibt, welche Haltung sich darin ausdrückt, welche Menschen sich darin gut orientieren können – und wie sich diese Muster sprachlich gestalten lassen.

Ergänzend dazu zeige ich jeweils einen möglichen Transfer in die Arbeit mit einem großen Sprachmodell. Denn auch dort beginnt Zusammenarbeit nicht erst mit der ersten Antwort – sondern mit der Art, wie eine Aufgabe gestellt, wie ein Raum geöffnet oder wie ein Thema aufgerufen wird. Wenn du mit einem LLM arbeitest – sei es GPT, Claude oder Gemini – wirst du feststellen, wie stark sich die Qualität der Antwort durch den Charakter des Einstiegs mitgestalten lässt.

Wenn ich eingeladen bin, Menschen beim Kommunizieren zu beobachten, fällt mir immer wieder auf, wie viel sich bereits im ersten Satz eines Gesprächs andeutet. Besonders deutlich zeigt sich das in Folgegesprächen – etwa mit Mitarbeitenden, Kolleginnen, Kunden oder Partnern –, in denen an ein früheres Gespräch angeknüpft wird. In diesen Momenten kann eine einzige Frage Beziehung vertiefen oder auf Distanz führen – etwa wenn ich höre: "Was ist bei dir hängengeblieben von unserem letzten Gespräch?" oder auch: "Was hat dich seither beschäftigt, unabhängig von unseren Themen?" Orientierung eröffnen oder Irritation auslösen. Der Einstieg wirkt weit über den Moment hinaus – oft formt er bereits die innere Struktur dessen, was danach geschieht.

Ich beobachte, dass Gesprächseröffnungen sehr unterschiedlich gestaltet werden – und dass diese Unterschiede alles andere als zufällig sind. Manche steigen gerne persönlich ein, mit einem Moment des Ankommens – weil sie darüber Sicherheit empfinden, eine erste Verbindung herstellen oder sich innerlich auf das Gespräch einstimmen können, mit etwas Leichtem oder Atmosphärischem. Andere orientieren sich an Strukturen, greifen Vereinbarungen auf oder möchten gleich zu Beginn wissen, worum es geht. Vielleicht gehörst du zu denen, die gerne mit einem konkreten Rückblick starten. Oder du erkennst dich eher in den offenen Einstiegen wieder, die Raum lassen, bevor sich etwas klärt. In beiden Fällen lohnt es sich, genauer hinzusehen: Welche Art des Einstiegs passt zu dir – und was brauchst du, wenn du selbst Gespräche führst?

Mir geht es dabei um eine Form der Aufmerksamkeit: für Sprache, für Haltung, für Übergänge. Wer Gespräche bewusst eröffnet – sei es mit Menschen oder mit Modellen – beginnt nicht nur früher, sondern anders. Und manchmal entsteht genau daraus ein Gedanke, der vorher nicht auffindbar war.

Kapitel 1: Offene Eröffnungen – Raum für Beziehung, Resonanz und Selbstfokussierung

Es gibt Gesprächssituationen, in denen Mitarbeitende, Kolleginnen und Kollegen – manchmal auch Kunden – ein Folgegespräch gerne mit etwas beginnen, das beiläufig wirkt. Sie knüpfen an den Moment an, sprechen über etwas Persönliches oder greifen einen leichten Gedanken auf. Was wir im Alltag als Smalltalk bezeichnen, kann in solchen Momenten eine hilfreiche Funktion übernehmen: Es schafft einen Übergang, hilft beim inneren Ankommen und öffnet einen Raum, in dem sich das Gespräch behutsam entfalten kann. Weil ich in Trainings und Workshops immer wieder gefragt werde, wie sich ein Gespräch auf natürliche Weise und ohne sofortige Zielorientierung eröffnen lässt, spreche ich häufig über sogenannte Plauder- und Kümmerfragen. Sie laden dazu ein, beiläufig zu beginnen, eine Verbindung herzustellen und einen Moment der Sammlung zu ermöglichen. Wer gefragt wird, was ihn beschäftigt, woran er Freude hat oder was sich in den letzten Tagen unerwartet entwickelt hat, antwortet häufig mit einer Form von innerer Perspektive. Diese Antworten spiegeln, wie jemand sich selbst im Moment erlebt. Im Hinblick auf das, was innerlich Bedeutung trägt. In solchen Momenten entsteht ein Gespräch aus Bezug. Vielleicht zählst du zu den Menschen, denen solche Einstiege vertraut sind – oder du kennst andere, für die diese Form des Anknüpfens wichtig ist. Vielleicht bist du auch jemand, der sich eher in einer anderen Gesprächsstruktur wohlfühlt. Es kann sich lohnen, genau hinzuhören: Welche Form der Gesprächseröffnung passt zu wem? Was braucht es, um ein Folgegespräch so zu beginnen, dass es sich stimmig entfalten kann?

Ich begegne in Gesprächen oft Menschen, die solche Einstiege suchen. Für sie steht nicht die Effizienz im Vordergrund, sondern eine Form des Ankommens. Manche denken erst im Sprechen. Andere öffnen sich, wenn die Aufmerksamkeit stimmt.

Typische Fragen, die diesen Raum öffnen:

  • Was hat dich in letzter Zeit innerlich bewegt?
  • Womit hast du dich in den vergangenen Tagen länger beschäftigt, als du es erwartet hättest?
  • Gab es etwas, das still begonnen hat und erst im Rückblick spürbar wurde?
  • Was hat sich bei dir verändert – ohne äußeren Anlass, ganz aus dem Lauf der Dinge heraus?
  • Gibt es einen Gedanken, der in den letzten Tagen wiederholt aufgetaucht ist?

Es gibt Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen, die sehr fein wahrnehmen, ob jemand wirklich präsent ist oder nur formale Abläufe bedient. Mit offenen Fragen dieser Art lassen sich Gesprächsräume gestalten, in denen etwas auftaucht, das bislang nicht formuliert wurde. Oft genügt schon ein stilles Signal, das spürbar macht: Hier darf etwas gesagt werden, das bisher ungesagt geblieben ist. Du kannst dich zeigen, mit dem, was gerade in dir lebendig ist.

Transfer zum LLM: Explorative Prompts als Einladung zum Denken

Diese Art des Einstiegs kannst du auch im Umgang mit einem Sprachmodell nutzen. Ich verwende solche Prompts, wenn ich einen Wahrnehmungsraum eröffnen möchte – mit der Absicht, ein Thema zu klären, ohne es sofort einzugrenzen. Auch wenn ein Sprachmodell keine innere Absicht kennt, reagiert es differenziert auf die Art der sprachlichen Einladung. Explorative Prompts regen andere Denkbewegungen an als präzise Aufgabenstellungen.

Beispielhafte Prompts:

  • Welche strukturellen Merkmale fallen dir in diesem Gesprächsauszug auf?
  • Welche thematischen oder funktionalen Schwerpunkte lassen sich in diesem Abschnitt identifizieren?
  • Wo zeigen sich inhaltliche Übergänge, Brüche oder wiederkehrende Muster?
  • Welche impliziten Bedeutungen könnten im Zusammenhang der Formulierungen stehen?
  • Wie lässt sich die sprachliche Gestaltung dieses Abschnitts hinsichtlich ihrer Funktion beschreiben?

Ich verwende solche Fragen, um das Modell so zu steuern, dass es Informationen in unterschiedlichen Kontextbezügen verarbeitet. Dabei entstehen häufig Antworten, die verdeckte oder implizite Zusammenhänge herausarbeiten. Das Modell reagiert dabei mit erhöhter kontextueller Breite, nutzt interne Gewichtungen und erzeugt Muster, die auf wahrscheinlichen semantischen Beziehungen basieren. Solche Beziehungen beziehen sich auf Bedeutungszusammenhänge zwischen Wörtern, Phrasen oder Strukturen, die das Modell auf der Grundlage zuvor gelernter Sprachmuster erkennt und gewichtet. Auf diese Weise lassen sich auch weniger explizite Aspekte eines Textes ansprechen und weiterentwickeln.

Promptdiversität und semantische Aktivierungsbreite

Die Wirkung explorativer Fragen auf große Sprachmodelle wie GPT lässt sich nicht nur beobachten, sondern auch systematisch beschreiben – und genau das fasziniert mich immer wieder. Denn die Art, wie Du das Modell ansprichst, beeinflusst maßgeblich, was Du zurückbekommst. Sprachmodelle arbeiten nicht deterministisch, sondern probabilistisch: Sie berechnen, welches Token – also welches Wort oder Zeichen – im aktuellen Kontext mit der höchsten Wahrscheinlichkeit folgt. Das ist das Prinzip der Next Token Prediction, das so einfach klingt und doch erstaunlich viel Tiefe birgt.

Was hier als „Kontext“ zählt, geht dabei weit über die unmittelbare Eingabe hinaus. Es umfasst ein Netz aus Bedeutungsräumen, Assoziationen, Mustern und impliziten Erwartungen – und genau hier setzen offene, explorative Fragen an. Sie zwingen das Modell nicht in ein bestimmtes Antwortschema, sondern öffnen Raum: für alternative Deutungen, Nebengedanken, für Stilvariationen. Ich stelle mir das oft wie ein gedankliches Gelände vor, das Du durch Deine Frage erst begehbar machst. Je weiter Du es steckst, desto mehr Antwortpfade stehen dem Modell zur Verfügung. Es aktiviert dann sogenannte latente Wissensstrukturen – also tief in den Gewichten des Netzwerks gespeicherte Zusammenhänge, die nicht als feste Fakten abgelegt sind, sondern als Muster, Beziehungen, Diskurslinien.

In der Stanford-Forschung zum Instruction Tuning (Ouyang et al., 2022) ist genau dieser Effekt beobachtet worden: Variationen in der Promptformulierung – insbesondere mehr Offenheit und weniger Direktivität – führten zu deutlich reichhaltigeren, stilistisch vielfältigeren und konzeptuell tieferen Antworten. Auch bei OpenAI hat man intern festgestellt, dass semantisch offene Prompts häufig zu komplexeren, nuancierteren Antwortverläufen führen – mit mehr Argumenten, Relativierungen, Beispielen, und oft auch mit überraschenden Perspektivwechseln.

Was mich daran besonders reizt: Prompting wird hier nicht nur zur Technik, sondern zur epistemischen Praxis – einer Form des Denkens mit dem Modell. Du fragst nicht einfach, um eine Antwort zu bekommen. Du erzeugst eine Struktur, in der Bedeutung emergieren kann. Und genau darin liegt das Potenzial: In dem Moment, in dem Du bewusst mit dem Modell interagierst, entfaltest Du einen Prozess der gemeinsamen Bedeutungsproduktion – gesteuert durch Wahrscheinlichkeiten, ja, aber alles andere als beliebig.

Beispiel: Promptdiversität und semantische Aktivierungsbreite

Ziel:

Das Modell soll nicht nur „faktenbasiert“ antworten, sondern Denkspielräume nutzen, Assoziationen herstellen, verschiedene Perspektiven einbringen und stilistisch variieren.

1. Statt enger, faktenzentrierter Fragen …

„Was sind drei Vorteile digitaler Bildung?“

… lieber offenere, weiter angelegte Varianten verwenden:

„Wie verändert digitale Bildung das Verhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden?“

„Was könnte langfristig auf der Strecke bleiben, wenn Digitalisierung im Bildungsbereich nur auf Technik fokussiert wird?“

„Wie würden unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen von digitaler Bildung profitieren – oder benachteiligt werden?“

„Was sagen verschiedene Perspektiven (pädagogisch, technologisch, soziologisch) zur Rolle von Bildung im digitalen Zeitalter?“

2. Stilistische Varianz durch Aufforderung zu unterschiedlichen Modi:

„Formuliere eine Vision zur digitalen Bildung aus der Perspektive eines/r idealistischen Pädagog:in.“

„Fasse die Risiken digitaler Bildung in Form einer pessimistischen Prognose zusammen.“

„Schreibe eine kurze, reflektierende Kolumne über die Rolle digitaler Lernumgebungen – mit persönlichem Ton.“

3. Semantische Breite durch gezielte Öffnung des Antwortfeldes:

„Welche überraschenden oder weniger offensichtlichen Aspekte spielen in der Debatte um digitale Bildung eine Rolle?“

„Welche Widersprüche oder Spannungen könnten innerhalb der Digitalisierungsstrategien im Bildungssystem entstehen?“

„Welche Gegenargumente würdest Du erwarten, wenn Du folgende These aufstellst: ‚Digitale Bildung ist nicht gleich bessere Bildung‘?“

4. Perspektivwechsel bewusst aktivieren:

„Wie könnte ein/e Grundschullehrer:in auf die Forderung nach stärker digitalisiertem Unterricht reagieren – im Vergleich zu einem Schuladministrator oder einem Elternteil?“

„Was würde eine Bildungsphilosoph:in über ‚digitale Kompetenz‘ sagen – im Unterschied zu einem IT-Manager?“

Dieses Vorgehen erzeugt nicht nur stilistisch reichhaltigere Texte, sondern auch kognitiv spannendere Denkmodelle. Du führst das Modell nicht linear zum „richtigen“ Ergebnis – Du gibst ihm ein Feld, in dem Bedeutung sich entfalten kann. Genau hier liegt die Stärke explorativer Promptgestaltung.

Kapitel 2: Fortschrittsfragen – Strukturieren, ohne zu kontrollieren

Es gibt Menschen, die ein Folgegespräch gerne so eröffnen, dass sie an das bereits Gesagte anknüpfen. Für sie stehen konkrete Entwicklungen im Vordergrund: der Verlauf. Was ist geschehen seit dem letzten Mal? Was hat sich entwickelt, was ist offen geblieben? Fortschrittsfragen öffnen keinen Raum, sie formen ihn. Sie strukturieren das Gespräch entlang einer Linie, die bereits begonnen hat. Dabei liegt der Fokus auf dem Versuch, Entwicklungen sichtbar zu machen und Gesprächsanlässe hin zu weiterer Klärung zu gestalten. Manche Gesprächseröffnungen zielen darauf, möglichst eindeutig zu klären, ob etwas erledigt wurde oder nicht. Fortschrittsfragen folgen einem anderen Muster: Sie nehmen auf, wie jemand vorgegangen ist, wie sich ein Vorhaben entwickelt hat oder welche Beobachtungen dabei entstanden sind. Sie sind besonders dann hilfreich, wenn Menschen dazu neigen, nicht nur ein Ergebnis mitzuteilen, sondern auch dessen Entstehung als Teil des Gesprächsverlaufs verständlich machen wollen.

Mit solchen Fragen kannst du Menschen ansprechen, die gerne in Abläufen denken, Zwischenschritte bewusst wahrnehmen und Verantwortung entlang eines Entwicklungspfads tragen. Für sie ist es oft hilfreich, den bisherigen Verlauf zu berücksichtigen, bevor ein neuer Schritt gesetzt wird. Vielleicht erkennst du dich darin wieder – oder du arbeitest mit Menschen, denen solche Gesprächseinstiege gut tun. Dann kannst du mit einer Frage beginnen wie:

  • Woran hast du konkret weitergearbeitet?
  • Was hast du ausprobiert – ganz gleich, ob es funktioniert hat oder nicht?
  • Gibt es etwas, das sich seit unserem letzten Gespräch deutlicher gezeigt hat?
  • Welche Rückmeldungen hast du erhalten, die deine Einschätzung verändert haben?

Diese Fragen laden zur Reflexion ein. Sie helfen, Übergänge zu markieren, Entwicklungen zu würdigen und Nebensächlichkeiten von Wesentlichem zu unterscheiden. Ich nutze sie oft dann, wenn ich jemandem den Raum geben möchte, einen Entwicklungsweg zu beschreiben.

Typische Fragen, die diese Wirkung entfalten:

  • Was hat sich seit dem letzten Mal verändert – in deiner Haltung, in deinem Vorgehen, in deinem Umfeld?
  • Welche deiner Erwartungen haben sich nicht bestätigt – und welche wurden bestätigt?
  • Was war schwieriger als gedacht, was ging leichter?
  • Gibt es einen Punkt, an dem du bewusst anders entschieden hast als geplant?
  • Welche Entwicklungslinien siehst du im Rückblick deutlicher als vorher?

Wenn du dich selbst in einer Entwicklung befindest, kannst du solche Fragen auch zur Selbstklärung nutzen. Sie rahmen das Gespräch als Prozess. Sie machen sichtbar, dass Entwicklung erzählbar wird.

Transfer zum LLM: Iterative Rückkopplung mit Verlaufssensibilität

Auch im Umgang mit einem LLM arbeite ich häufig nicht punktuell, sondern iterativ. Ich entwickle Abschnitte, optimiere Übergänge, präzisiere Begriffe, baue auf vorherigen Formulierungen auf. Vielleicht arbeitest du ähnlich – in Etappen, in Schleifen, mit wachsender Schärfe. In diesen Prozessen ist es entscheidend, die bisherigen Schritte als Teil des Denkwegs zu nutzen. Genau hier wirken die Äquivalente zu Fortschrittsfragen.

Beispielhafte Prompts:

  • Wenn du auf unsere letzte Version zurückblickst: Was hat sich in unserer Arbeit stilistisch verändert?
  • Mit welchen Formulierungen greife ich den vorherigen Gedanken besonders gut auf?
  • Welche semantischen Linien sind in unserem bisherigen Verlauf deutlicher hervorgetreten?
  • Gibt es etwas, das wir inhaltlich mitgeführt haben, ohne es explizit zu benennen?
  • An welcher Stelle wird der Faden aus Kapitel 1 in unserem Text sinnvoll weitergeführt?

Du kannst mit solchen Fragen dem Modell ein Narrativ geben: Du bist nicht mit einer Aufgabe betraut, du bist Teil eines Arbeitsprozesses. Du kennst den Vorlauf, du arbeitest in einer Bewegung. Diese Haltung verändert das Antwortverhalten spürbar. Die Vorschläge werden anschlussfähiger, weniger generisch, oft auch stilistisch konstanter.

Prompt Chaining und Conversational Memory

Prompt Chaining bezeichnet die strukturierte Aneinanderreihung von Prompts, bei der jede neue Eingabe auf einer vorhergehenden Modellantwort aufbaut. Anders als bei isolierten Instruktionen entwickelt sich hier ein dialogischer Verlauf, in dem Inhalte schrittweise vertieft, transformiert oder fokussiert werden. Das Sprachmodell wird nicht wiederholt von außen gesteuert, sondern kontinuierlich von innen heraus weitergeführt – entlang seiner eigenen Ausgaben. Studien aus dem Umfeld von Google Research und OpenAI zeigen, dass solche sequentiellen Promptketten die Kohärenz des Outputs deutlich erhöhen – sowohl im Stil (z. B. konsistente Tonalität, rhetorische Struktur) als auch inhaltlich (z. B. konzeptuelle Konsistenz, argumentative Entwicklung).

Conversational Memory wiederum beschreibt die Fähigkeit eines Modells, innerhalb einer Session – oder bei spezialisierten Instanzen wie Custom GPTs – auf vorherige Gesprächsinhalte Bezug zu nehmen. Zwar verfügen große Sprachmodelle über kein Gedächtnis im neurologischen oder psychologischen Sinn, doch sie rekonstruieren Kontextdurch Zugriff auf den bisherigen Promptverlauf. Innerhalb der kontextuellen Fenstergrenze (z. B. mehrere Tausend Tokens bei GPT-4) ist das Modell in der Lage, auf frühere Aussagen, Fragen oder Themenverläufe zu reagieren – solange diese im Eingabekontext verfügbar sind.

Diese Funktionalität lässt sich gezielt nutzen: Durch Rückbezügesemantische Ankerpunkte oder selbstreferenzielle Fragen kann der Gesprächsfaden bewusst aufgenommen und fortgeführt werden. Die Anschlussfähigkeit steigt erheblich, wenn Sprache nicht repetitiv neu ansetzt, sondern auf Gewesenes reagiert. Besonders bei iterativer Arbeit – etwa im Schreiben, in der Ideengenerierung oder beim Modellieren von Denkprozessen – lohnt es sich, nicht immer wieder neu zu formulieren, sondern fortzusetzen, was bereits angelegt ist.

Dann entsteht kein abgeschlossenes Produkt, sondern ein prozessuales Gefüge – ein fortlaufender Denkraum, in dem Sprache nicht nur Mittel ist, sondern Form.

Beispiel: Prompt Chaining und Conversational Memory

Szenario:

Du arbeitest mit dem Modell an einem komplexeren Thema (z. B. Essaystruktur, Konzeptentwicklung, Ideensammlung) und möchtest, dass es seine früheren Ausgaben als Grundlage für die weitere Arbeit nutzt – nicht jedes Mal neu, sondern aufbauend und anschlussfähig.

1. Einstieg – erster thematischer Impuls:

„Skizziere bitte drei zentrale Herausforderungen im Zusammenhang mit ethischer KI-Regulierung.“

2. Folgeprompt – argumentative Vertiefung entlang eines vorherigen Punkts (Prompt Chaining):

„Bitte entwickle den zweiten Punkt – die Unsicherheit rechtlicher Zuständigkeiten – zu einem kurzen, argumentativen Abschnitt weiter. Berücksichtige mögliche Konsequenzen und Gegenpositionen.“

3. Stilistische oder rhetorische Konsistenz absichern:

„Behalte bitte den sachlich-analytischen Stil aus dem ersten Abschnitt bei. Verwende einen ähnlichen Tonfall.“

4. Selbstreferenz zur Kontextverankerung (Conversational Memory aktivieren):

„Im ersten Schritt hast Du unter anderem die Schwierigkeit genannt, technische Innovationen mit Rechtsnormen zu synchronisieren. Inwiefern lässt sich diese Problematik auch auf Datenschutzfragen übertragen?“

5. Fortschrittsanzeige und inhaltlicher Übergang:

„Wir haben bisher über Herausforderungen und erste Konsequenzen gesprochen. Bitte leite nun einen Abschnitt ein, der Lösungsansätze diskutiert – mit Bezug auf das bisher Gesagte.“

6. Rekursive Reflektion – das Modell soll sich auf den Gesamtverlauf beziehen:

„Fasse bitte zusammen, wie sich die Argumentation bislang entwickelt hat. Welche Logik verbindet die einzelnen Abschnitte? Gibt es Widersprüche oder offene Anschlussfragen?“

Diese Technik entfaltet ihr volles Potenzial, wenn Du dem Modell nicht jedes Mal neue Anweisungen gibst, sondern den Gesprächsverlauf als strukturierenden Rahmen nutzt. Dadurch entsteht ein fortlaufender Denkprozess – sprachlich modelliert, inhaltlich fokussiert, dialogisch wachsend.

Kapitel 3: Listen und Themen – Gespräche strukturieren

Es gibt Menschen, die gerne strukturiert denken und in Sequenzen arbeiten. Für sie wird ein Gespräch zugänglicher, wenn Themen, Ziele und Vereinbarungen klar benannt und gegliedert sind – oft in Form von Listen, Unterpunkten oder thematischen Gruppen. Ein Folgegespräch, in dem mehrere Aspekte offenstehen, lässt sich leichter einordnen, wenn der Einstieg diese Struktur aufgreift. Ziel ist es, Orientierung zu ermöglichen und ein gemeinsames Arbeitsfeld sichtbar zu machen. In solchen Momenten frage ich zum Beispiel: Was von dem, was noch offen ist, drängt sich heute auf? Welche Themen stehen im Raum – auch wenn sie noch nicht ausgesprochen wurden?

Diese Art der Gesprächseröffnung spricht Menschen an, die gerne sortiert arbeiten. Menschen, die sich leichter einlassen, wenn der Rahmen transparent ist. Oder Menschen, die viele parallele Fäden im Kopf tragen und dankbar sind, wenn ein Gespräch hilft, diese Fäden aufzunehmen. Es geht hier darum, das Gespräch zu ordnen, bevor es sich entfaltet.

Typische Fragen, die in diesem Kontext wirksam sind:

  • Welche Themen aus unserem letzten Gespräch sind für heute noch relevant?
  • Welche offenen Punkte möchtest du heute weiterverfolgen?
  • Für welche Ziele brauchen wir heute einen nächsten Schritt?
  • Welche Vereinbarungen sollten wir überprüfen oder konkretisieren?
  • Was hast du heute selbst auf deiner inneren Agenda mitgebracht?

Du kannst solche Fragen einsetzen, wenn du ein Gespräch einbetten willst. In einen größeren Zusammenhang setzen willst, der bereits besteht. Sie geben Orientierung, ohne Richtung vorzugeben. Und sie erlauben es deinem Gegenüber, den Gesprächsfokus mitzusetzen, ohne ihn alleine tragen zu müssen.

Transfer zum LLM: Thematische Leitplanken setzen

Auch im Umgang mit einem Sprachmodell macht es einen Unterschied, ob ich offen frage oder thematisch rahme. Wenn ich an einem Text, einer Argumentation oder einer Struktur arbeite, dann formuliere ich zu Beginn häufig, was für mich bereits gesetzt ist – und was noch offen ist. Wenn ich für Menschen schreibe, achte ich darauf, kontrastive Strukturen weitestgehend zu vermeiden – also etwa Formulierungen, die auf ein ‚nicht … sondern‘ hinauslaufen. Ziel ist es, Orientierung zu geben, ohne sprachliche Gegensätze zu inszenieren (dies ist ein beispiel im Beispiel für konstrastive Strukturen). Im Umgang mit einem LLM handhabe ich das anders: Dort formuliere ich oft bewusst in klaren Unterscheidungen, um eine semantische Struktur zu etablieren, entlang derer das Modell seine Antwort generieren kann.

Beispielhafte Prompts:

  • Ich möchte, dass du dich in der nächsten Antwort ausschließlich auf die sprachliche Präzision konzentrierst. Blende die Betrachtung der Argumentationsstruktur aus.
  • Der folgende Abschnitt wurde bereits mehrfach bearbeitet. Bitte prüfe ihn nur im Hinblick auf Übergänge und stilistische Stimmigkeit.
  • Wir haben drei Themen identifiziert: A, B und C. Bitte formuliere nun einen Übergang von B zu C. Füge keine neuen Inhalte ein.
  • Hier ist die Gliederung des Textes. Welche inhaltlichen Spannungspunkte erkennst du zwischen Abschnitt 2 und 4?

Aufgabenfokussierung durch Prompt Instruction Separation

In der technischen Dokumentation zu großen Sprachmodellen taucht ein Befund immer wieder auf: Die Modelle reagieren empfindlich auf die Formulierung von Aufgaben – vor allem dann, wenn mehrere Instruktionen miteinander verschachtelt sind. Je unübersichtlicher das Anliegen formuliert ist, desto eher verliert das Modell an Präzision. Eine bewährte Gegenstrategie ist die sogenannte Prompt Instruction Separation: eine Technik, bei der thematische, stilistische und funktionale Anforderungen klar voneinander getrennt und sequenziell verarbeitet werden.

Das Prinzip klingt schlicht – ist aber wirkungsvoll. Wenn Du ein Modell etwa bittest, einen Text gleichzeitig zu kürzen, stilistisch umzuformulieren und argumentativ zu strukturieren, wird es häufig oberflächlich, ungenau oder widersprüchlich. Der Grund: Das Modell muss konkurrierende Ziele gleichzeitig abbilden, ohne priorisieren oder gewichten zu können. Wenn Du dieselbe Aufgabe hingegen in mehrere klar benannte Teilprompts gliederst – jeder mit einem spezifischen Fokus –, steigt die Qualität der Ausgaben deutlich. Genau das zeigen auch Studien von OpenAI und Anthropic: Eine saubere Trennung der Instruktionen führt zu höherer Genauigkeit, besserer Zielgerichtetheit und oft auch zu höherer stilistischer Konsistenz.

Für mich sind das nicht nur technische Hinweise, sondern Hinweise auf eine Form der kognitiven Entlastung – für das Modell wie für mich selbst. Wenn ich beginne, mit Listen, Zwischenüberschriften oder thematisch fokussierten Fragen zu arbeiten, sortiere ich erst – bevor ich bearbeiten lasse. Ich übertrage dem Modell nicht die gesamte Steuerung, sondern halte selbst den Faden.

Deshalb lohnt sich beim Prompten immer wieder die Frage: Was ist eigentlich gerade Thema – und was nicht? Was gehört in den Fokus, was darf in den Hintergrund treten? Und was davon soll explizit bearbeitet werden – jetzt, in diesem Schritt? Je klarer Du diese Fragen beantwortest, desto klarer kann auch das Modell reagieren. Nicht, weil es „versteht“, was Du willst – sondern weil Du ihm durch Deine Struktur erlaubst, konsistent entlang Deiner Absicht zu antworten.

Beispiel: Prompt Instruction Separation

Ausgangslage:

Du möchtest einen Text gleichzeitig kürzen, stilistisch überarbeiten und argumentativ klarer strukturieren.

Weniger geeignet:

„Bitte überarbeite den folgenden Text so, dass er kürzer, eleganter formuliert und argumentativ klarer ist.“

→ Diese kombinierte Anweisung enthält mehrere Ziele auf einmal. Das Modell muss kürzen, umformulieren und strukturieren – oft zulasten der Qualität.

Besser: Schrittweise und getrennt vorgehen

1. Kürzen:

„Bitte kürze den folgenden Text um etwa 30 %, ohne wichtige Inhalte zu verlieren. Achte darauf, dass die Kernaussagen vollständig erhalten bleiben.“

2. Stilistisch überarbeiten:

„Formuliere den gekürzten Text sprachlich eleganter. Verwende präzise und flüssige Sprache mit einem sachlich-professionellen Ton.“

3. Argumentativ strukturieren:

„Ordne den Text so, dass die Argumentation klar nachvollziehbar ist: Ausgangsthese – Begründung – Beispiel – Schlussfolgerung.“

Optional – Reflexion oder Optimierung:

„Welche drei gezielten Verbesserungen könnten vorgenommen werden, um den Text noch überzeugender zu gestalten? Bitte antworte stichpunktartig.“

Diese Aufteilung sorgt dafür, dass das Modell in jedem Schritt ein klares Ziel verfolgen kann – mit deutlich besserer inhaltlicher und stilistischer Kontrolle.

Kapitel 4: Überprüfung der Vereinbarungen – Anschluss gestalten durch Erinnerung

Es gibt Menschen, die ein Folgegespräch gerne damit eröffnen, dass sie bewusst auf das zurückblicken, was im letzten Gespräch entschieden, geklärt oder festgehalten wurde. Für sie ist dieser Rückgriff mehr als ein administrativer Schritt – er markiert einen Moment des inneren Abgleichs. Die Vereinbarungen aus dem vorherigen Treffen setzen einen gedanklichen Übergang: Was wurde aufgenommen? Was daraus gemacht? Was ist in Bewegung gekommen? Diese Fragen lenken den Gesprächsbeginn auf das, was eingebettet wirkt, anschlussfähig und konkret.

Diese Gesprächsform unterstützt Menschen, die Verbindlichkeit aus der fortgesetzten Auseinandersetzung mit dem bereits Vereinbarten entwickeln. Sie bietet jenen eine Struktur, in der aus der Wiederaufnahme eines Gedankens Kraft für den nächsten Schritt entsteht. Ich verwende in diesem Kontext oft Fragen wie:

  • Was ist aus den Vereinbarungen geworden, die wir beim letzten Mal getroffen haben?
  • Welche Punkte hast du aufgegriffen – und was hat sich daraus entwickelt?
  • Wo bist du noch im Prozess, wo brauchst du eine neue Klärung?
  • Gibt es etwas, das sich anders entfaltet hat, als du es erwartet hattest?
  • Welche der besprochenen Schritte sind inzwischen abgeschlossen – und wie war das für dich?

Diese Fragen schaffen eine Verbindung zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Sie machen sichtbar, was bereits angestoßen wurde, und öffnen einen Raum für die Fortsetzung dessen, was begonnen wurde. Der Gesprächsraum erhält dadurch Richtung, Tiefe und Bezug.

Transfer zum LLM: Rückbezug als strukturierender Gesprächseinstieg

Auch in der Arbeit mit einem Sprachmodell nutze ich solche Rückbezüge bewusst. Wenn ich in einer laufenden Sitzung mit einem Custom GPT arbeite – einem Modell, das sich individuell konfigurieren und auf Themen, Sprachformen und Denkstrukturen ausrichten lässt – beginne ich neue Abschnitte häufig mit einem Bezug auf das, was zuvor besprochen oder formuliert wurde. Ich habe dieses Vorgehen einmal als Arbeit mit einem „Praktikanten, der immer lernt“ beschrieben: ein Modell, das schrittweise eingeführt, begleitet und in ein Denken hineingeführt wird. In einem Blogartikel habe ich diesen Gedanken vertieft – dort zeige ich auch, wie sich ein solcher Custom GPT konkret einrichten lässt.

Auch im sogenannten iterativen Schreiben – also einem Vorgehen, bei dem ein Text in wiederholten Schleifen verfeinert, geprüft und verdichtet wird – arbeite ich mit Rückbezügen. Ich halte die innere Logik eines Gedankengangs präsent, indem ich gezielt an das anknüpfe, was bereits formuliert wurde. Das Modell verfügt über kein dauerhaftes Gedächtnis, doch es kann Zusammenhänge rekonstruieren, wenn diese sprachlich vorbereitet werden.

Beispielhafte Prompts:

  • Im letzten Abschnitt hast du die Argumentationsstruktur verändert. Was war dabei für dich zentral?
  • Die letzte Version hat neue Übergänge eingeführt. Welche davon sollten wir beibehalten?
  • Welche der Vorschläge aus unserem vorherigen Durchgang haben sich als tragfähig erwiesen?
  • Du hattest zuletzt drei Alternativen formuliert. Wie lassen sie sich im heutigen Kontext bewerten?
  • Welche Anschlussideen ergeben sich aus den Punkten, die du beim letzten Mal priorisiert hast?

Solche Prompts unterstützen das Modell dabei, bereits formulierte Inhalte wieder aufzugreifen, weiterzuentwickeln und in einen nachvollziehbaren Verlauf einzubetten. Der Übergang entsteht entlang der inneren Struktur des Gesprächs und bewahrt Anschlussfähigkeit, Klarheit und Tiefe. Du kannst das Modell so führen, dass es sich in den eigenen Vorschlägen orientiert, sich entlang vorhandener Linien bewegt und dabei neue Impulse entfaltet. Daraus entwickelt sich ein Arbeitsprozess, der in sich stimmig bleibt – auch ohne dauerhaftes Gedächtnis.

Kontextualisierung durch rekonstruktive Promptstruktur

Die Wirkung dieser Technik beruht auf einer zentralen Fähigkeit großer Sprachmodelle: Sie können semantische Kohärenz über längere Textverläufe hinweg herstellen – allerdings nur dann, wenn der relevante Kontext sprachlich mitgeführt wird. In der Forschung ist das auch unter Begriffen wie Context Carryover oder Implicit Prompt Memorybekannt. Gemeint ist damit: Auch ohne dauerhaftes Gedächtnis im engeren Sinn können Modelle vorangegangene Themen, Argumentationslinien oder formale Muster aus dem bisherigen Gespräch rekonstruieren – solange diese innerhalb des kontextuellen Eingabefensters liegen oder explizit angespielt werden.

Wenn Du also am Übergang zu einer neuen Arbeitsphase das Modell bittest, sich auf frühere Ergebnisse, Thesen oder Vereinbarungen zu beziehen, aktivierst Du genau dieses rekonstruktive Potenzial. Du setzt an einem bereits etablierten Denkrahmen an – und stärkst damit die inhaltliche Anschlussfähigkeit. Studien von OpenAI, DeepMind und anderen Forschungsgruppen zeigen, dass solche gezielten Rückbezüge die Kohärenz, Konsistenz und Qualität nachfolgender Modellantworten messbar erhöhen. Besonders deutlich wird das bei komplexeren Aufgaben wie fortlaufender Textarbeit, iterativer Argumentationsentwicklung oder thematisch fokussierter Analyse.

Ein Beispiel liefert die Arbeit von Zhang et al. (2023) mit dem Titel Language (Re)modelling: Leveraging Retrieval to Improve Language Models. Dort wird gezeigt, wie sich Modellantworten inhaltlich vertiefen lassen, wenn frühere Passagen bewusst in die neue Eingabe eingebunden werden – etwa durch kleine Erinnerungsanker, semantische Wiederholungen oder explizite Selbstbezüge.

Mich überzeugt an dieser Technik, wie klar sie zeigt: Kontext entsteht nicht von allein – er wird sprachlich konstruiert und strukturell gepflegt. Wenn Du bewusst Rückgriffe einbaust, schaffst Du nicht nur Kontinuität, sondern gestaltest einen gedanklichen Raum, in dem sich neue Inhalte organisch entfalten können. Du führst weiter, was bereits angelegt wurde – und entwickelst dabei eine Linie, die nicht nur inhaltlich, sondern auch dialogisch trägt.

Beispiel: Kontextualisierung durch rekonstruktive Promptstruktur

Szenario:

Du arbeitest über mehrere Schritte hinweg an einem Text oder Thema – z. B. einer Argumentation, Analyse oder Ideensammlung – und möchtest sicherstellen, dass das Modell sich konsistent auf vorherige Inhalte bezieht.

1. Expliziter Rückbezug am Beginn einer neuen Phase:

„Beziehe Dich bitte auf die Hauptthese, die wir im vorherigen Schritt formuliert haben: ‚Digitale Bildung erfordert mehr als nur Zugang zu Technik – sie braucht pädagogische Konzepte.‘ Entwickle nun eine Begründung in zwei Absätzen, die diese These vertieft.“

2. Erinnerung an ein formales oder stilistisches Muster:

„Bitte halte denselben sachlich-reflektierten Ton wie im Abschnitt davor bei. Der Stil soll nüchtern, aber zugänglich bleiben.“

3. Rekonstruktion auf Anfrage – modellseitig aktivieren:

„Welche zentralen Punkte haben wir bisher zur Rolle der Lehrkräfte in der digitalen Bildung herausgearbeitet? Fasse diese bitte stichpunktartig zusammen, bevor Du mit der nächsten Analyse beginnst.“

4. Übergangsprompt mit Fortschrittsmarkierung:

„Wir sind im bisherigen Text zu folgenden drei Erkenntnissen gelangt [...]. Bitte baue darauf auf und entwickle einen vierten Aspekt, der diese Linie sinnvoll fortführt.“

5. Selbstreferenz zur Stärkung der Argumentationskette:

„Im ersten Teil hast Du betont, dass digitale Kompetenzen nicht isoliert vermittelt werden sollten. Wie lässt sich diese Aussage mit Blick auf schulische Curricula konkretisieren?“

Diese Form der Promptgestaltung sorgt dafür, dass sich nicht nur der Text, sondern auch der argumentative Zusammenhang weiterentwickelt. Du etablierst einen Rahmen, in dem Kohärenz zur Folge der Struktur wird – nicht bloß ein zufälliger Nebeneffekt.

Wenn Du willst, kann ich Dir daraus auch ein Mini-Cheat Sheet oder einen einseitigen Praxisleitfaden machen.

Fazit

Die vier Muster, die ich hier beschrieben habe – offene Eröffnungen, Fortschrittsfragen, Listen und Themen sowie die Überprüfung von Vereinbarungen –, haben mir gezeigt, wie ähnlich Menschen und Sprachmodelle auf den ersten Impuls reagieren. In meiner täglichen Arbeit erlebe ich immer wieder, dass derselbe bewusste Einstieg sowohl in Gesprächen mit Kolleginnen als auch in der Interaktion mit GPT oder Claude eine vergleichbare strukturierende Wirkung entfaltet. Diese Beobachtung hat meine Art zu kommunizieren verändert – ich achte heute genauer darauf, welchen Rahmen ich mit dem ersten Satz öffne.

Vielleicht findest du in einem der vier Muster etwas wieder, das auch für deine Gespräche hilfreich sein könnte. Der erste Satz ist mehr als ein Einstieg – er ist eine Einladung zu einer bestimmten Art des Denkens und Sprechens. Wenn du beginnst, diese Eröffnungen bewusst zu gestalten, entwickelst du eine Form der sprachlichen Aufmerksamkeit, die sowohl deine zwischenmenschlichen Gespräche als auch deine Arbeit mit KI-Modellen bereichern kann. In beiden Fällen entsteht Raum für das, was sonst vielleicht ungesagt geblieben wäre.